Ich möchte Euch mitnehmen in eine Zeit, die lange vorbei ist. Es ist die Zeit nach dem großen Krieg. Es gibt noch nicht viel zu essen. Und dieser Winter ist sehr hart.
Kein Grund, die Schule zu schwänzen, weiß der kleine Junge. Im Winter muss er vor der Morgendämmerung los gehen, um pünktlich zu sein. Der große Teil des Weges führt ihn durch einen düsteren Nadelwald, in dem sich manchmal Soldaten durch den hohen Schnee nach Hause schleichen. Das weiß er von den Eltern. Also aufpassen. Der Krieg ist gerade erst vorbei.
Heute hat ihm die Mutter ein dickes Wurstbrot als Pausenbrot mitgegeben. Darauf freut er sich. Die eine Hälfte würde er kurz vor der Schule essen, den Rest nach der Schule.
Normalerweise gehen sie immer zu dritt. Aber die beiden anderen Kinder liegen krank zu Hause. Heute muss er den Schulweg alleine schaffen. Ohne Herzklopfen. Ohne Angst. Gar nicht so einfach.
Er schafft das auch ganz gut bis zu dem Augenblick, als sein Herz beginnt, rasend schnell zu schlagen. Waren das nicht Schritte eines Menschen im Schnee, die er gerade wahrgenommen hat? Und dann sieht er ihn. Es ist ein Soldat. Mit einem riesengroßen Gewehr. Der hat ihn wohl schon kommen sehen, er spricht ihn an. Der Junge hat Angst. Aber auch Mitleid. Und teilt sein Wurstbrot mit ihm. Der Soldat dankt ihm und geht weiter. Aber das war noch nicht alles an diesem Morgen.
Einige ängstliche Schritte weiter glaubt der Junge, einen Schatten zu sehen und erschreckt sich fast zu Tode, als ein großer Wolf vor ihm auftaucht und zum Sprung auf ihn ansetzt. Auch der Wolf scheint hungrig zu sein. In seiner großen Not trennt sich der Junge von der zweiten Hälfte seines dicken Wurstbrotes. Jetzt ist er zwar hungrig. Aber er hat überlebt.
Zwei unheimliche Gestalten hat er heute morgen getroffen. Sein Wurstbrot hat er denen gegeben, die hungriger waren als er selbst.
Er ist über sich hinaus gewachsen, hat sich sehr mutig seinen Ängsten gestellt.
Ein kleines Buch über die Menschlichkeit.
Bremen, 6. März 2017