Jahreszeiten können träumen?
Ach was!
Doch! Ich erzähle es Euch.
Nehmt zum Beispiel den Frühling. Das ist ja die erste Jahreszeit. Während Ihr draußen mit dem Schlitten durch die Gegend flitzt, schläft der Frühling unter der Schneedecke und sorgt dafür, dass der Frühling den Winter, also die kalte Jahreszeit, ablösen kann. Er haucht quasi unterirdisch allem, was im Frühling oft noch durch eine Schneedecke das Licht der Sonne und die Wärme sucht, Leben ein, so dass es sich dann weiter entfalten kann und wir dann erstaunt bei einem Rundgang durch den Garten oder den Park ausrufen können: Schau mal, es gibt schon Schneeglöckchen. Alles klar.
Kommen wir zum Sommer. Der schläft leider noch. Denn er lässt dem Frühling Zeit, sich auszutoben, bis seine Zeit gekommen ist. Ist es soweit, taucht die Welt in ein Blütenmeer, das überhaupt nicht aufhören will, sich zu entfalten. Wir laufen über Wiesen, Felder, pflücken Feldblumensträuße, Wiesenblumensträuße, gehen baden, machen Picknick und sind die meiste Zeit des Tages draußen. Wunderbar.
Während wir den Sommer mit all seinen Schönheiten genießen und uns wünschen, dass er nicht so schnell endet, bereitet sich der Herbst heimlich auf seine Zeit vor. Wortlos macht er der Sonne klar, dass sie sich so langsam zu verabschieden hat, damit Platz wird für Herbststürme, Apfelernte und ganz viel Laub, das die Kinder mit ihren Schuhen vor sich her schieben können. Der Herbst erwacht. Er lässt Laubwälder in den allerschönsten Farben leuchten. Das macht er jedes Jahr. Er lässt all die Drachen der Kinder in den Himmel steigen, lässt die Erwachsenen Pilze suchen. Alle in dicke Pullover gehüllt.
Der Winter kauert, friedlich vor sich hin träumend, versteckt noch unter einem riesengroßen Fliegenpilz und weiß, dass seine Zeit kommen wird. Er freut sich schon auf die Menschen mit den roten Nasen, darauf, dass die Kinder jetzt ihren Kakao am liebsten trinken und – wenn Schnee fällt – Schneemänner bauen und rasante Fahrten mit ihren Schlitten unternehmen. Er wacht über seine Zeit des Jahres. Weise und freundlich. Bis es für ihn an der Zeit ist, sich auszuruhen und dem Frühling den Vortritt zu lassen, bis es wieder Zeit ist, den Herbst abzulösen.
Poesie. So schön.
Bremen, 29. März 2020