Dies ist die Geschichte von Tarek und Soraya. Es ist keine Liebesgeschichte, sondern eine Geschichte über die Flucht aus der Heimat in ein fremdes Land.
Weder Soraya noch Tarek wissen, dass der andere auf dem Weg ist. Bis sie sich mitten in den Bergen wiedersehen und sich ein Versprechen geben.
Wir werden uns wiederfinden und wir werden beide das Unmögliche möglich machen und überleben.
Auch wenn die Chancen dafür nicht gut stehen.
Tarek gehört zur Familie der Kuchi. Jedes Jahr wandern sie mit ihren Schafen durch die Berge Afghanistans. Aber die Zeiten werden schlechter. Überall sind Landminen im Boden versteckt und so mancher Hirte muss hilflos mit ansehen, wie Tiere seiner Herde durch Minen getötet werden. Tarek ist fast unschlagbar darin, verlorene gegangene Schafe wieder zu finden.
Das entgeht auch den Taliban, den Rebellen, die sich in den Bergen versteckt halten, nicht. Sie wollen ihn haben, für ihren Kampf gegen die Amerikaner. Tareks Vater will das allerdings nicht zulassen. Er überredet den Jungen sich auf den Weg nach Deutschland zu machen.
Soraya lebt in einem kleinen afghanischen Dorf. Sie ist das siebte und jüngste Kind. Ihre Mutter hat nur Mädchen zur Welt gebracht, das gilt als Schande für die Familie. Da beschließt der Mullah Soraya als Jungen aufwachsen zu lassen, um die Ehre der Familie wiederherzustellen. Als „bacha posh“ hat Soraya alle Freiheiten, die ein Junge auch hat. Sie wird von allen nur Samir gerufen und kann draußen spielen, auf Bäume klettern, muss kein Kopftuch tragen und lernt sich in der rauen Welt der Männer zu behaupten. Längst ist es an der Zeit sie wieder ein Mädchen werden zu lassen, denn dass sie langsam zu einer hübschen jungen Frau heranwächst, ist nicht mehr zu übersehen.
Tarek und Samir sind sich in den letzten Jahren immer wieder begegnet. Sie haben zusammen die Berge durchstreift. Zwei Jungs – zwei Freunde, denn Soraya hat niemals verraten, dass sie ein Mädchen ist.
In diesem Jahr wartet sie wieder auf Tarek. Aber der kommt nicht. Dafür aber kommen die Taliban in ihr Dorf. Ausgerechnet wegen Soraya. Sie darf ab sofort nicht mehr als Junge draußen herumlaufen. Ab sofort muss sie ein Kopftuch tragen und muss im Haus bleiben. Schwierig für einen an die Freiheit gewöhnten Menschen. Auch Sorayas Vater beschließt seine Jüngste vor den Taliban zu beschützen und schickt sie fort. Fort Richtung Europa.
Dies ist die Geschichte von Tarek und Soraya. Eine Geschichte, wie sie ähnlich viele Flüchtlinge erlebt haben. Nicht alle haben ihren Weg überlebt. Vielleicht hilft uns ihre Geschichte zu verstehen, warum es so viele gibt, die sich auf diesen gefährlichen Weg machen. Weg aus ihrer Heimat, in der sich Taliban und Amerikaner gegenseitig bekämpfen und dabei jeden mit in diesen Krieg ziehen, ob sie wollen oder nicht. Weg von der Familie, von Vater und Mutter. Weg von Freunden, von Sicherheit und Vertrauen. Hin in ein Land, dessen Sprache sie nicht sprechen und das nichts gemeinsam hat mit ihrem Leben in den Bergen Afghanistans.
Allerdings hat es etwas ganz Entscheidendes – Freiheit.
Bremen, 16. Mai 2019