„The Hate U Give“ thematisiert den Umgang mit Vorurteilen, sozialer Gerechtigkeit, Polizeigewalt, Jugendkriminalität und was es bedeutet, eine Haltung zu haben und für diese einzustehen.
„Ich hätte nicht auf diese Party gehen sollen.“ Dieser Satz wird sich durch das komplette Buch ziehen. Denn hätte Starr sich nicht überreden lassen, auf diese Party zu gehen, hätte sie die plötzliche Schießerei zwischen wem auch immer nicht erlebt. Folglich hätte sie gemeinsam mit Khalil nicht fluchtartig die Party verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Auf dem Weg nach Hause wären sie nicht in diese Polizeikontrolle geraten. Ihr bester Freund Khalil würde noch leben. Nun ist sie die einzige Zeugin eines brutalen feigen Mordes.
Im Zuge der Ermittlungen wird Khalil der Presse zum Fraß vorgeworfen. Sie berichtet über Khalils Leben als Drogendealer, behauptet, Khalil sei Mitglied einer dieser berüchtigten Gangs gewesen. Und sein Tod sei kein großer Verlust.
Als einzige Zeugin wird Starr mit Polizei und Staatsanwaltschaft sprechen und vor Gericht aussagen. Klar und unmissverständlich wird sie aussagen, dass Khalil unbewaffnet und zu keiner Zeit eine Bedrohung für die Polizisten gewesen ist. Starr ist fest davon überzeugt, dass die Geschworenen für Gerechtigkeit sorgen werden. Aufgrund ihrer Aussagen müsste der Polizist mit der Dienstnummer 115 für den Mord an Khalil verurteilt werden.
Es kommt natürlich anders. 115 wird für den Mord an Khalil nicht verurteilt. Damit könnte die Geschichte enden. Doch sie beginnt genau hier.
Denn es gibt auch eine andere Sicht auf die Dinge. Dafür werden Menschen auf die Straßen gehen, sich Gehör verschaffen und das Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft anprangern, die ganz offensichtlich kein Interesse an der Aufklärung von Khalils Tod zeigen. Es werden Menschen sterben, Nachbarschaften werden hin- und hergerissen sein zwischen dem, was sie glauben sollen und was nicht. Und es werden Gebäude brennen. Und die einzige Person, die Zeugin des feigen Mordes gewesen ist, schweigt.
Beim Lesen des Buches erlebe ich, was es heißt, bittere Lebenserfahrungen zu machen, die wir uns hier in Deutschland nicht einmal ansatzweise vorstellen können. Mein Kopf reagiert beim Lesen deshalb auch oft ungeduldig. Hätte ich mir doch gewünscht, dass Starr von Anfang an mutiger, taffer, cooler gewesen wäre.
Dass sie nicht so lange schweigt, dass sie sich einschüchtern lässt, sich versteckt. Dass sie nicht ohne zu zögern laut und deutlich ihre Stimme erhebt.
Ich habe einsehen müssen, dass alles seine Zeit braucht.
Am Ende des Buches aber habe ich verstanden, dass ich über meinen eigenen Emotionen vergessen habe, dass Starr erst 16 ist, in einer Welt lebt, in der Waffen Problemlöser sind und es unglaublich mutige Menschen braucht, die die Kraft haben, sich einer brutalen gesellschaftlichen Gewalt zu stellen, die alle Zutaten mitbringt, ganze Gesellschaften zu zerstören. Dass es genau diesen Mut braucht, damit man vor mafiösen Gangs und vor Polizeiwillkür nicht kuschen und sich klein machen muss, um zu überleben.
In diesen Tagen finden wir uns in einer politischen Welt wieder, in der Politiker Kraft ihres Amtes und der Macht, die sie durch ihre Wähler haben, versuchen, die Demokratie einzuschränken und durch etwas zu ersetzen, das das Volk zu willigen Helfern dieser Herren werden lässt, die ihnen bedingungslos folgen.
Es gehört auch wieder zum guten Ton, sich über andere Menschen zu erheben. Dieses Recht ist durch nichts legitimiert und verursacht Kriege, Flucht, Armut und Tod.
Wir müssen uns daran erinnern, dass jeder von uns – genauso wie Starr – eine Stimme hat, die er erheben kann. Machen wir uns stark für ein Zusammenleben, für das es sich demokratisch zu kämpfen lohnt.
Die Autorin des Buches, Angie Thomas, thematisiert mit „The Hate U Give“ die Morde an schwarzen Jugendlichen durch weiße Polizisten in den USA. Im September 2017 kommt sie für eine Lesereise nach Deutschland. Unter www.randomhouse.de könnt Ihr Euch informieren.
Bremen, 24. Juli 2017