Tatsächlich ist dieser Tag wie jeder andere. Und doch trifft es Charlotte richtig in der Magengegend, als sie von der Schule nach Hause kommt und keiner die Tür aufmacht. Als Frau König, die Nachbarin, sie vor der Haustür auf den Stufen findet ist Charlotte sogar richtig ein bisschen böse, dass ihre Mutter nicht öffnet. Dabei muss sie doch zuhause sein.
Mama geht schon seit Monaten nicht mehr vor die Tür. Ist auch nicht gerade ein schöner Anblick ihre Mama. Die Haare meistens ungewaschen, die Augen eingefallen und blass ist sie und irgendwie kleiner als vorher. Früher mal, war ihre Mama die schönste Frau der Welt. Seit Monaten ist sie aber nur noch ein Schatten.
Als Oma Mia und Oma Christine an Weihnachten da waren, haben sie erst einmal geputzt und aufgeräumt. Sonst hatte Mama die Wohnung immer schon Tage vorher blitzeblank geputzt und geschmückt. Es war immer alles perfekt und sie hat gelacht und sie hatte so ein Glitzern in den Augen. Das Glitzern ist weg und die Erwachsenen, also Papa und die Omas – unterhalten sich nur noch ganz leise miteinander. Sobald Charlotte in die Nähe kommt, hören sie meistens sogar ganz auf zu sprechen.
Was genau mit ihrer Mama ist, weiß Charlotte nicht. Aber das sie sich verändert hat, dass weiß sie sehr genau. Charlotte ist wütend, denn keiner erklärt ihr, was eigentlich los ist. Deshalb geht sie am liebsten zu ihrer Freundin Lule, denn Lules Mutter ist zwar immer ein bisschen chaotisch, aber es ist auch wahnsinnig gemütlich bei Lule zuhause.
Dieser ganz gewöhnliche Tag, dieser Tag wie jeder andere, verändert Charlottes Welt. Endlich findet ihr Vater die Zeit Charlotte zu erklären, was mit ihrer Mutter los ist. So ganz verstehen kann sie es nicht, aber sie weiß nun, dass Mama krank ist. Sehr krank.
Bremen, 23. Mai 2020