Malaga die Blinde

von Benjamin Lacombe
Jacoby & Stuart Verlag
2022, 50 Seiten
Altersempfehlung: ab 14 Jahren
Preis: 29,00 Euro

Eines Tages steht eine junge Frau unsicher und mit gesenktem Blick, in zerrissener Kleidung vor dem Zirkuszelt. Ihr Blick ist ungewöhnlich leer. Sie will Artistin werden. Von diesem Tag an hat der Zirkus seinen Superstar.

Die junge Frau steht auf Plattform. Unter ihren Füßen: Das Drahtseil. 20 Meter hoch. Ein Scheinwerfer. Er stört sie nicht. Sie ist blind.

Sie beginnt ihren Weg über das Seil.
Setzt sicher einen Fuß vor den anderen.
Zur anderen Seite.
So wie immer.
Und erreicht die gegenüberliegende Plattform.
Geschafft.
Tosender Applaus.

Niemand im Zuschauerraum fragt jemals, wie sie wurde, was sie ist. Auch der Zirkusdirektor hat sie nie nach ihrer Geschichte gefragt. Es ist ihm egal. Sie ist sein Star: Malaga die Blinde.

Bis zu dem Tag, an dem Malaga bei ihrem Drahtseilakt plötzlich stehen bleibt. Das Drahtseil zittert. Malaga stürzt in die Tiefe. Ein Kollege eilt zu ihr, trägt sie in seine Loge. Verbindet ihre Wunden.

Mit diesem Sturz verändert sich etwas. Verändert sie. Etwas, das sie verloren geglaubt hat, zeigt sich ihr. Zeigt ihr, was passierte, als sie ihr Augenlicht verloren hat.

Erinnerungen an ihre liebevollen Eltern,
an den Garten,
die Blumen,
ihr Leben davor.
Der Autounfall, bei dem sie ihre Eltern verlor.
Der Verlust ihrer Sehkraft.
Doch jetzt öffnet die Artistin ihre Augen.
Und sieht, erkennt und weiß, dass sie ab jetzt ein neues Leben haben wird.

Ein großartiger Bücherschatz, der uns Erwachsenen die Augen öffnen sollte.

Benjamin Lacombe schließt sein Nachwort wie folgt:“Wir müssen lernen, uns zu ändern, zu entwickeln und anders zu leben. So wie meine Heldin Malaga es mehrfach in ihrem Leben musste. Zuerst nach dem Unglück, durch das sie ihre Eltern, ihre Identität und ihr Augenlicht verloren hatte. Dann, als sie ihr Gedächtnis und ihre Sehkraft wiedererlangte.

Von nun an konnte sie jedoch nie mehr die berühmte Artistin sein, die bei jeder Nummer den Tod herausgefordert hatte, denn sie hatte die Lust am Leben wiedergefunden. So wie auch wir es versuchen, wenn wir uns gegen unsere eigenen Blindheiten wehren.“

Bremen, 13. Juni 2022