Als wir klein waren, haben wir uns in warmen Sommernächten unsere Luftmatratzen geschnappt und durften im Garten schlafen. Das war Glück pur, unsere große Freiheit, der Himmel gehörte nur uns, wir haben geredet, bis wir vor Müdigkeit eingeschlafen sind. Es gab nichts Besseres.
Aber – könnt Ihr Euch vorstellen, dass es Menschen gibt, die immer auf der Straße leben, nachts auch dort schlafen, weil sie keine Wohnung haben, in die sie gehen können? Das hat mit Glück pur, mit großer Freiheit nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Als ich noch Radiosendungen moderiert habe, hatte ich das große Glück, dass mein Sender in der Stadt bei Karstadt ein kleines Sendestudio eingerichtet hat, aus dem auch meine Samstagssendung übertragen wurde. Das war super und sehr lange sehr erfolgreich, bis entschieden wurde, dass so etwas überflüssig sei. Aber das ist ein anderes Thema.
Ich hatte damals Kontakt zu einer Professorin der Uni, die sich um wohnungslose Menschen kümmerte. Es war der Übergang vom Herbst zum Winter. Ich wollte eine Sendung über Menschen ohne Wohnung machen und fragte sie, ob es jemanden gäbe, der zu mir ins Schaufenster kommen und seine Geschichte erzählen würde. Sie war skeptisch. Das habe ich verstanden. Tatsächlich gab es jemanden, der immer dann, wenn ich Samstags Sendung hatte, neben vielen anderen Leuten am Stehtisch draußen stand und zuhörte. Ich nenne ihn hier Armin.
Das Kaufhaus versorgte uns immer mit Frühstück, das wir mit ihm teilten. Armin war ein sehr aufmerksamer Zuhörer. Armin vertraute mir wohl und nach einem Gespräch mit der Professorin der Uni saßen beide irgendwann Samstags in meiner Sendung.
Armin erzählte mir seine Geschichte. Er war ein belesener, hochintelligenter Mann mit einem Beruf, einer Familie. Das alles hatte er verloren. Ihm blieb die Straße. Ihm blieb der Treffpunkt in einem Stadtteil unserer Stadt, wo Leute mit einem ähnlichen Schicksal sich treffen konnten und für ein paar Stunden ein normales Leben führen und Kontakte knüpften oder Kontakte hielten und Hilfe und Zuwendung bekamen.
Nach dieser Sendung passierten zwei Dinge: Zum einen beschenkte das Kaufhaus die wohnungslosen Frauen und Männer der Stadt mit warmer Wintergarderobe aus der auslaufenden Kollektion. Dazu Decken, Luftmatratzen und so weiter. Zum anderen bekam ich viele Zuschriften von Menschen, die mir schrieben, dass sie jetzt einen anderen Blick auf wohnungslose Menschen haben und sie sie nicht mehr als die ansehen, die am Bahnhof oder sonst wo „rumlungern“ und Leute um Geld anbetteln. Und sie würden es nicht mehr zulassen, dass Kinder und Jugendliche sich über Menschen wie Armin lustig machen. Armins Geschichte hatte sie beeindruckt und auch ein wenig demütig werden lassen. Sie hatten verstanden, dass jeder von ihnen seine eigene Geschichte hat. Und dass man sie unterstützen muss.
In jeder Stadt gibt es Menschen und Organisationen, die sich um Menschen wie Armin kümmern. Ärzte, an die sie sich kostenlos wenden können, damit sie gesund bleiben oder werden. Das hat etwas mit Nächstenliebe zu tun, die die Geistlichen aller Kirchen uns predigen.
Menschen wie Armin brauchen gerade in diesen schwierigen Zeiten der Pandemie sehr viel mehr Hilfe und Unterstützung.
Dieses Bilderbuch und vielleicht meine Geschichte mit Armin hilft Euch, zu verstehen, was es heißt, ohne Wohnung zu sein.
Bremen, 29. Juni 2021