Zugegeben. Das Märchen von Rotkäppchen und dem bösen Wolf sowie andere deutsche Märchen wurden bei mir zuhause nicht vorgelesen. Ich fand sie zu grausam für Kinderohren so kurz vor dem Schlafen. Da hatte ich immer besseren Lesestoff zur Hand.
Dass man das Märchen auch ziemlich anders erzählen kann und sich dabei auch noch schlapp lacht, habe ich mit dem Buch von Ole Könnecke gerade gelernt.
Also. Papa und Tochter leben ein ziemlich schönes Leben. Tochter ist handwerklich begabt und hilft, wo sie kann und ist glücklich damit. Dann hat sie Geburtstag.Bisher hat es an diesem ganz besonderen Tag morgens immer Blaubeerpfannkuchen gegeben. Leider nicht heute. Denn Papa hat vergessen, welche vom Markt mitzubringen. Kein Problem, sagt Papa. Ich besorge welche. Gesagt, getan.
Der Weg zum Markt ist lang. Es gäbe da allerdings eine verbotene Abkürzung durch den Zauberwald. Dulcinea hat er das Betreten bis heute strengstens untersagt. Was also tun? Papa überlegt. Und wählt den Weg durch den Zauberwald, obwohl er weiß, dass dort die böse Hexe lebt und ihr Unwesen treibt.
Natürlich ist er unvorsichtig. Und natürlich trifft er auf die böse Hexe mit ihrem Zauberbuch unterm Arm, die ihn prompt in einen Baum verwandelt.
Unterdessen wartet zuhause Dulcinea auf Papa und ihre Blaubeeren. Irgendwann ist ihr klar, dass ihr Vater der bösen Hexe begegnet sein muss und macht sich auf den Weg, ihn zu suchen. Und obwohl sie genau weiß, dass Papa ihr den Weg durch den Zauberwald verboten hat, folgt sie den Spuren ihres Vaters. Was soll sie auch sonst machen? Schließlich findet sie ihn als einen der vielen Bäume im Zauberwald. Und jetzt?!
Keine Frage. Sie hat vor, die Hexe zu suchen und ihren Papa zurückzufordern. Das wäre ja noch schöner! Schließlich ist heute ihr Geburtstag. Das kann ihr die Alte nicht verweigern, oder?
Nach einigem Hin und Her findet sie die Burg der Hexe, findet sogar hinein, verzieht schmerzhaft ihr Gesicht und hält sich spontan die Ohren zu. Was soll das denn sein? Singt die Alte etwa? Wie gruselig.
Dulcinea macht sich auf die Suche und findet schließlich die Hexe, am Klavier sitzend und schaurig furchterregend, aber sehr selbstverliebt, singend. Oder was sie dafür hält. Es wird diskutiert. Es geht hin und her. Die Alte ist sich nicht sicher, ob sie aus dem Dreikäsehoch eine Torte oder sonst was zaubern soll. Dulcinea verhandelt sehr geschickt. Schließlich hat sie heute Geburtstag und das Recht auf die Erfüllung eines Wunsches. Widerwillig sagt die Hexe zu.
Was glaubt ihr, wünscht die Kleine sich?! Richtig.
Die Hexe soll sich bitte schön an ihr Klavier setzen und ihr das schönste und längste Lied der Welt vorsingen. Schließlich sei sie eine begnadete Künstlerin, das wisse ja der ganze Zauberwald, nicht wahr?!
Hexen sind eingebildete Einfaltspinsel. Das weiß jeder. Also geschieht, was geschehen muss. Die Alte greift in die Tasten, reißt ihr grell geschminktes Mundwerk bis zum Anschlag auf, grunzt, schreit und röchelt, heult und jault – und hält sich für die Allergrößte.
Dulcinea greift sich das Zauberbuch und rennt, so schnell sie kann zu diesem Baum, der ihr Papa ist und entzaubert ihn. Und weil sie der Hexe das Zauberbuch geklaut hat, muss sie sich bis an ihr Lebensende keine Sorgen mehr machen, wenn Papa mal wieder die Blaubeeren vom Markt vergisst.
Ach ja. Die Hexe singt übrigens immer noch.
Bremen, 29. Juni 2021