„Was auch immer du sagen willst, mach den Mund auf und sag es einfach. Das rate ich dir. Lass die Welt wissen, was du denkst.“
Was macht man, wenn man die Kommukationsmöglichkeiten der Sprache komplett verweigert, dafür die allerbesten nachvollziehbaren Gründe hat, sich aber ständig Ratschlägen ausgesetzt fühlt, die man noch nicht mal im Ansatz beherzigen will?! Man geht seinen Weg.
Suzy geht ihn, weil sie die Erfahrung machen muss, dass und vor allem wie ihre beste Freundin sich immer mehr von ihr abwendet, hin zu diesen von allen anderen angehimmelten oberflächlichen Mädels, für die süüüße Jungs, Shopping, Nagellack und Frisur Lebensinhalte sind, die sie selbst absolut nicht nachvollziehen kann.
Dass Dinge einfach passieren, kann Suzy Swanson nicht akzeptieren. Sie macht sich über vieles Gedanken, worüber andere nur den Kopf schütteln: Den Schlafrhythmus von Schnecken zum Beispiel, die jährliche Zahl der Quallenstiche oder wie alt man ist, wenn das Herz 412 Millionen Mal geschlagen hat – gerade mal 12 Jahre.
Als Franny und sie noch beste Freundinnen gewesen sind, also, in der 7. Klasse, haben sie sich blind verstanden. Stundenlang haben die beiden Mädchen in Suzys Zimmer gesessen und Franny hat ihrer besten Freundin zugehört, wenn die ihr mal wieder „die Welt erklärt hat“.
Zu dieser Zeit gehört Franny zu den Menschen, die Suzy und ihr Mitteilungsbedürfnis und ihr Interesse an allem am besten versteht und Franny ist der Mensch, dem Suzy am meisten vertraut. Aus einer Laune heraus vereinbaren die beiden Mädchen irgendwann, sich ein wirklich eindeutiges Zeichen zu geben, wenn eine von ihnen bemerkt, dass die andere sich in eine Richtung entwickelt, die ihrer Freundschaft nicht gut tut.
Dass das wirklich passieren könnte, hätte Suzy nicht für möglich gehalten, zumal sie sich aus ihrer Sicht wirklich große Mühe gibt, zu der Clique, die Franny immer mehr zu interessieren scheint, dazuzugehören.
Das hätte vielleicht sogar irgendwann klappen können, wäre Suzy nicht jemand, die ständig ungefragt ihr geballtes Wissen loswerden müsste, über das sie ohne Zweifel verfügt, denn klar ist: sie ist eines der neugierigsten Menschenkinder dieses Universums. Sie sieht Dinge, die sie interessieren und denkt nicht: Aha, sondern sie hinterfragt sie, macht sich schlau, liest darüber und macht sich öfter mal unbeliebt.
So, wie an dem Tag, als sie in der Cafeteria in großer Mädelsrunde bei Eisbecher und Cola mit ihrem Wissen über Sinn und Verwendungsmöglichkeiten von Urin die Gespräche interessanter machen möchte. Keine gute Idee. Das weiß sie aber erst später.
Bei diesem „Ekelthema“ platzt den anderen der Kragen. Auch Franny scheint ihre beste Freundin ober peinlich zu sein und sie wendet sich lieber ihren neuen Freundinnen zu. Suzy fühlt sich verraten, ist verletzt und beschließt, das jetzt der Zeitpunkt für ihr verabredetes „Zeichen“ gekommen ist. Und – was könnte dabei besser funktionieren, als Urin – überlegt sie und tut, was zu tun ist.
Mit dieser Aktion wendet sich Franny komplett von ihr ab.
Der Schmerz über die verlorene Freundschaft bricht Suzy fast das Herz.
Dann stirbt Franny aus heiterem Himmel bei einem Badeunfall, obwohl sie eine ausgezeichnete Schwimmerin gewesen ist und Suzy beschließt, nicht mehr zu sprechen. Sie wünscht sich nichts sehnlicher, als herauszufinden, wie das geschehen konnte.
Es ist ein weiter und erkenntnisreicher Weg, bis sie versteht, dass der einzige Trost manchmal ist, Dinge anzunehmen, die man nicht ändern kann. Erst dann ist sie in der Lage, ohne Zorn wieder Menschen an sich heranzulassen und neuen Freunden zu gestatten, sie zu finden.
Ergreifend.
Bremen, 20. September 2018