Das ist die Geschichte von einem kleinen Mädchen, das Bücher und die geheimnisvollen Geschichten darin über alles liebt.
Eines Tages entdeckt es ein Buch, das es nicht kennt. Es steht allein auf einem Bücherbord. Sofort ist sein Interesse geweckt und das kleine Mädchen fragt die Lehrerin, was das wohl für ein Buch ist. Dieses Buch hat wohl der Mutter der Lehrerin gehört und sie erlaubt dem Mädchen, das Buch bis zum nächsten Tag mit nach Hause zu nehmen. Nach dem Unterricht läuft das Mädchen so schnell es geht, nach Hause.
Dass etwas Ungeheuerliches geschieht, bemerkt es nicht. Da es das Buch unter dem Arm transportiert, fallen beim Laufen nach und nach sämtliche Buchstaben aus dem Buch heraus. Der Wind wirbelte sie durch die Luft. Das Mädchen ist so sehr in Gedanken, dass es nicht bemerkt, dass jemand hinter ihm läuft, der die Buchstaben mit einem Käscher wieder einfängt.
Zuhause angekommen, will das Mädchen weder Essen noch Trinken. Es will einfach nur lesen. Im Schneidersitz auf ihrem Bett kann es losgehen. Mit großer Vorfreude schlägt das kleine Mädchen das Buch auf und ist völlig entsetzt. Jede Seite, die es umblättert, eine nach der anderen, ist leer. Es gibt zwar wundervolle Bilder. Eines schöner, als das andere. Aber Buchstaben sucht es vergeblich.
Das Mädchen ist fassungslos und unendlich traurig und fast hätte es diese Stimme überhört, die ihm zuflüstert, dass es keinen Grund gebe, traurig zu sein. Denn alle Geschichten seien noch in dem Buch. Bei den Bildern. Es liege nun an ihr, an ihrer Fantasie, die Geschichten zu den Bildern zu erzählen. Es sei an ihr, zu entscheiden, wie die Geschichten verlaufen. Sie dürfe bestimmen, ob sie gut enden oder nicht. Alles liege bei ihr. Sie solle ihre Fantasie nutzen.
Das Mädchen versteht. Lächelnd schlägt es das Buch wieder auf. Seite für Seite. Zuerst ist es schwer, aber mit der Zeit gelingt es ihr immer besser, die Geschichten zu den Bildern zu finden und zu erzählen. Und mit der Zeit beginnen die Figuren, ein Leben zu haben, von dem sie erzählen können. Durch ihre eigene Fantasie.
Am nächsten Morgen, auf dem Weg zur Schule, begegnet das Mädchen einem Fuchs, der ihr ein kleines Bündel überreicht und erklärt, er sei ihr gestern gefolgt und habe alle Buchstaben, die aus dem Buch geweht waren, wieder für sie eingefangen. Schließlich dürften sie nicht verloren gehen. Das kleine Mädchen bedankt sich. Sie weiß aber, dass es die Buchstaben nicht mehr braucht, um dieses Buch lesen und die Geschichten hinter den Bildern erzählen zu können.
Was für eine schöne, poetische Geschichte über die Macht der Fantasie!
Bremen, 18. August 2016