„Du weißt, wer du bist! Du bist die einzige Hoffnung für unser Volk, Theodosia!“
Die Letzte, die Theodosia bei ihrem wahren Namen nannte, war ihre Mutter, die Feuerkönigin von Astrea, das der Kaiser mit seiner mörderischen Armee erobert hatte und ihre Mutter vor ihren Augen tötete. Die Hüter ihres Volkes waren in Lebensgefahr. Fand er einen Hüter, ließ er ihn ermorden.
Theodosia selbst nahm der Kaiser mit an seinen Hof, um sie von Zeit zu Zeit daran zu erinnern, wer sie ist: Die „Ash Princess“. Das Symbol der Schande für ihr Volk. Feiert der Hof ein Fest, wird sie herausgeputzt und vorgezeigt. Dann setzt ihr der Kaiser eigenhändig die Aschekrone auf den Kopf. Zu seiner und des Hofstaates großen Erheiterung verteilt sich mit der Körperwärme binnen Minuten die Asche auf Gesicht und Kleid. Die Aschetränen der Scham, die sie weint, bahnen sich ihren Weg abwärts über ihr Gesicht. Eine einzige Demütigung, die sie von Mal zu Mal innerlich zorniger werden lässt. Doch mit den Jahren lernt sie, sich zu beherrschen.
Die Aschekrone ist nicht die einzige Demütigung, die der Kaiser anordnet. Je nach Laune, lässt er nach Theodosia rufen und sie vor den Augen des Hofes auspeitschen. Einfach so. Weil Eroberer das so machen. Und weil es ihm Freude bereitet.
Ihr Rücken ist vom ersten Tag ihres Aufenthaltes hier im Palast voller dicker roter Striemen, die ihr unsägliche Schmerzen bereiten. Doch sie gestattet es sich nicht, vor dem Kaiser Schwäche zu zeigen.
Eroberer töten die, die ihnen gefährlich werden könnten. Der Kaiser hat zwar Theodosias Mutter getötet, die Tochter hat er verschont, obwohl er offensichtlich glaubt, dass sie gefährlich ist. Das Leben hat er ihr nicht genommen, aber ihre Würde, ihren Namen, ihre Heimat, ihre Sprache, ihre Kultur. Theodosia zu demütigen, scheint der alleinige Sinn und Zweck des Aufenthaltes hier am kaiserlichen Hof zu sein. Zu allem Überfluss glaubt seine schlichte Tochter Crescentia tatsächlich, sie, Theo, sei ihr eine innige Freundin geworden.
Trotz aller physischen und psychischen Demütigungen hat Thora, wie sie jetzt heißt, rein äußerlich ein gutes Leben. Doch sie ist mehr gefangen als frei. Ihre Gemächer werden Tag und Nacht überwacht. In einer der Wände befinden sich Löcher, durch die die Höflinge sie beobachten müssen. Dabei ist es egal, ob ihre Zofe sie gerade an- oder auskleidet oder ob sie liest oder Besuch empfängt. Auch Magiesteine, mit denen sich Crescentia überflüssigerweise schmückt, darf sie nicht berühren, geschweige denn nutzen. Das hat sie sich verboten. Denn sie hat einen Plan.
„Wecke nicht den Zorn des Kaisers, dann lässt er dich leben.“ Das hat die Kaiserin ihr ein Mal zugeflüstert. Daran will sich Thora halten, bis sie ihren Plan umsetzen kann.
Magiesteine, solltet ihr wissen, waren früher heilig. Sie stammten aus den Höhlen, die unter den vier großen Tempeln der bedeutendsten Gottheiten verliefen – der Höhle des Feuers, der Luft, des Wassers und der Erde. Die Höhlen waren das Zentrum ihrer göttlichen Macht und so stark davon durchdrungen, dass sich ihre Magie auf das Gestein übertrug. Später in der Geschichte wird sich Thora dieser Magie bedienen, um ihren Plan endlich in die Tat umzusetzen.
Nach der Eroberung von Astrea hat der Kaiser zwar alle Hüter umbringen lassen, aber Thora gibt die Hoffnung nicht auf, dass ihr Vater Ampelio, der einer der Hüter ist, sie eines Tages retten wird. Die Geschichte will es so, dass die Soldaten des Königs Ampelio finden und gefangen nehmen.
Thora weiß nicht, was sie erwartet, als der Kaiser sie an diesem Morgen in den Thronsaal rufen lässt. Hier sei ein Gefangener, parliert der König freundlich, der mit ihm nicht sprechen wolle, wohl aber mit ihr. Thora erkennt in Ampelio ihren Vater und weiß, dass er sie nicht mehr retten kann. Er ist hier, um zu sterben. Vor ihren Augen. Sie irrt sich. Der Kaiser befiehlt ihr, diesen Mann, der ihr Vater und ein Hüter ihres Volkes ist, mit einem Schwert zu töten.
Das ist die Wendung der Geschichte, der in Thora eine große Kraft freisetzt und ein unglaubliches Feuer entfacht. Sie ist stark. Das weiß sie. Das spürt sie. Und sie wird ihren Thron zurückerobern. Auch davon ist sie überzeugt. Unerwartete Hilfe erhält sie von Blaise, einem Freund aus ihrer Kinderzeit, der sich in den Palast schmuggelt und sie in ihrem Vorhaben unterstützen wird.
Theo weiß, dass sie Crescentia den Vater nehmen muss. Sie muss den Kaiser stürzen. Seit sie weiß, dass er die gesamte Familie der Kaiserin nach der Hochzeit hat umbringen lassen, weiß sie, was zu tun ist. Aber ihr ist auch klar, dass das nur dann funktionieren kann, wenn sie die Schwachstelle des Kaisers in ihre Gewalt bringt. Sören. Seinen Sohn.
Das gestaltet sich allerdings schwieriger, als sie vermutet hat. Denn dieser Sören ist nicht wie sein Vater. Schlimmer. Theo und Sören haben Gefühle füreinander. Theo versucht, das zu verdrängen. Ihr Plan: Sören muss sich in sie verlieben, damit sie ihr Volk befreien kann. Doch, wer hätte gedacht, dass es eine Mitbewerberin gibt.
Ich gestehe, dass ich die Fortsetzung kaum erwarten kann. Laura Sebastian ist mit dieser Geschichte etwas gelungen, das sich ab der ersten Seite im Kopf festsetzt und so schnell nicht wieder da weg will. Und – es ist hervorragend übersetzt!
Bremen, 24. September 2018