Am Morgen des 6. November 1939 weiß Anna noch nicht, dass dies der Tag sein wird, an dem sie ihren Vater zum letzten Mal sehen wird.
Die siebenjährige Anna weiß auch nicht, das der Apotheker, der auf sie an diesem Tag aufpassen soll kein Beschützer für sie ist.
Ihr Beschützer wird der Schwalbenmann. Der Mann, der genau in dem Augenblick auftaucht als ihre Not riesengroß wird. Der Moment, in dem sie nicht weiß, an wen sie sich wenden kann, um Hilfe zu bekommen.
Der große wortkarge Mann, den sie in ihrem Leben nur dreimal lachen sehen wird, nimmt das kleine Mädchen mit auf seine Reise. Eine Reise ohne konkretes Ziel. Immer auf der Flucht. Immer unterwegs. Am Rande der Gesellschaft, in verlassenen Häusern oder im dunklen Wald.
Einmal geraten die beiden sogar zwischen die Fronten. Sie befinden sich mitten zwischen den deutschen Soldaten, die in Russland einfallen und den nachrückenden Truppen der Deutschen Wehrmacht.
Sie werden einen Mann treffen, der eine Zeitlang mit ihnen unterwegs sein wird. Der fröhlich ist, obwohl die Welt um ihn herum, so düster und herzlos ist.
Anna lernt viel in dieser Zeit. Sie lernt, dass die Welt gefährlich ist, dass die Menschen gefährlich sind. Sie versteht das man nicht gefunden werden darf, weil man sonst verloren ist. Und das man keinen Namen haben darf. Sie schenkt dem Schwalbenmann ihren Namen, nur für eine gewisse Zeit – und manchmal, wenn sie alleine sind, schenkt ihr der Schwalbenmann für kurze Zeit ihren Namen zurück.
So wird es ihnen gelingen zu Überleben. In einer Zeit in der es vielen Menschen nicht gelungen ist zu Überleben.
Es gibt nicht viele Autoren, die es schaffen, eine so schwere Zeit unserer Geschichte in einer Sprache zu erzählen, die einen fesselt und gleichzeitig wunderschön ist. Gavriel Savit hat es geschafft, das man das Buch am Ende mit einem warmen Gefühl im Bauch zur Seite legen kann und überglücklich ist, an der Geschichte von Anna und dem Schwalbenmann teilhaben zu können. Chapeau!
Bremen, 14. Juni 2016