Ihr habt sicher schon mal davon gehört, dass es alte Menschen geben soll, die, wenn sie alleine leben, mit der Zeit immer einsamer werden und sich für nichts mehr interessieren, was außerhalb ihrer Wohnung oder ihres Hauses passiert. Das gilt sicher nicht für alle alten Menschen. Für manche aber schon.
Larson gehört zu diesen Menschen. Larson ist alt und lebt allein in seinem Haus. Durch die Fenster kann man den Garten nur noch erahnen, so schmutzig sind sie. Er bemerkt es nicht wirklich, weil er seine Brille schon lange nicht mehr trägt.
Und ein wenig merkwürdig riechen tut es auch bei ihm. Lüften ist ihm egal.
Seine Kinder sind schon länger ausgezogen und haben eigene Familien. Larsons Frau Sara ist auch nicht mehr bei ihm. Sie hat wunderbare Bilder gemalt, bis sie gestorben ist. Er denkt immer noch an sie. Betritt er ihr Atelier, glaubt er immer noch, ihre Stimme zu hören, riecht er die Farben, mit denen sie gearbeitet hat.
Bis vor kurzem hat es wenigstens Johann Sebastian, sein Kater, mit ihm ausgehalten. Aber der ist jetzt auch verschwunden. Egal. Einer weniger, um den ich mich kümmern muss, denkt Larson. Bin eh alt und sterbe sicher bald. Ach ja. Um seine Blumen könnte er sich auch mal kümmern. Macht er aber nicht. Keine Lust. Larsons Tage sind einer wie der andere. Ist ihm egal.
So. Es ist Abend. Zeit fürs Bett. Larson geht durchs Haus, löscht alle Lampen. In jedem Raum. Im Atelier seiner Frau, das er immer mit großer Traurigkeit betritt, in der Bibliothek, in der er sich früher in seinem Leben stundenlang in Bücher vergraben konnte und wo seine Lesebrille immer noch auf diesem kleinen Tisch liegt, in der Küche, wo ihn Töpfe und Pfannen an die wunderbaren Gerichte erinnern, die Sara für sie beide zubereitet hat. Er kann jedes einzelne riechen, glaubt er.
Im Schlafzimmer macht er sich fürs Bett fertig, sagt Sara leise gute Nacht und will gerade die Nachttischlampe löschen, als es klingelt.
Ärgerlich macht er sich auf den Weg durchs Haus zur Haustür. Steht da doch ein kleiner Junge vor der Tür, einen Blumentopf in der Hand und sagt einfach so „Hallo“. Er würde gleich nebenan wohnen, sagt er. Er würde jetzt mit seinen Eltern in die Ferien fahren, sagt er, und er bitte ihn, solange auf seinen Blumentopf zu achten. Und weg ist er. Widerspruch? Keine Zeit. Ist ja keiner mehr da. Also stellt Larson den Blumentopf in die Küche und legt sich – immer noch ärgerlich – schlafen.
Am nächsten Morgen versucht die Sonne mit aller Kraft, ihn durch seine schmutzigen Fenster hindurch aufzuwecken. Das gelingt tatsächlich. Und Larson erinnert sich an diesen Blumentopf, den er gestern in der Küche geparkt hatte.
Selbst, wenn man Sachen zu ignorieren versucht, bemerkt man doch irgendwann die Veränderung. Auch Larson. Dieses kleine grüne Dings da im Blumentopf, das sich in der Nacht durch die Blumenerde ans Tageslicht gekämpft hat. Was das wohl für eine Blume wird, fragt er sich.
Diesem Gedanken folgen andere. Larson ist – er versteht es selber nicht – auf ein Mal voller Tatendrang. Er lüftet das ganze Haus, putzt alle Fenster, räumt auf, wirft alles Vertrocknete weg. Irgendwie wird seine Laune von Tag zu Tag besser. Eines Morgens stellt er fröhlich fest, dass Johann-Sebastian wieder zu Hause ist.
Ihr werdet es nicht glauben, der Blumentopf in der Küche könnte keinen besseren Pfleger haben, als Larson. Als er sich an einem dieser zufriedenen Abende, die er jetzt immer hat, überlegt, wie er den Flur des Hauses heller und schöner gestalten könnte, fällt sein Blick auf den Blumentopf und kann seine Freude kaum fassen: Aus dem Dings ist eine prächtige Mohnblume geworden. So eine wie die, die Sara immer wieder gemalt hatte. Larson ist im Glück. Ach was! Das Glück und Larson haben sich wiedergefunden. In diesem Augenblick klingelt es.
Bremen, 28. August 2018