Es war ein ganz normaler Dienstag. Nach der Schule hat Papa gesagt, er muss mit mir reden.
„Ich werde sterben mein Mädchen“.
Das war das erste Mal, dass ich so lange die Luft anhielt, das mir ganz schwindelig wurde. Alles um mich herum wurde schwarz.
Ich erinner mich ganz genau an den Tag. Obwohl ich es die ganze Zeit schon gewusst habe. Die Blicke der Ärzte im Krankenhaus, die Pausen, die Stille, wenn ich das Krankenzimmer betreten habe. Aber ich wollte es nicht hören. Ich konnte nicht atmen, ich konnte noch nicht mal weinen.
Jetzt ist Sommer. Ein Sommer wie die Sommer davor und ich fahre wie jedes Jahr zu den Großeltern. Das Meer ist genauso blau wie im Jahr davor, Omas gebackene Waffeln duften so wie immer und Opa trägt seine geliebten abgewetzten Hosen. Alles so wie immer und doch ist alles anders.
Eines Tages entdecke ich am Strand einen Wal. Er kann noch nicht alt sein und er liegt auf dem Trockenen. Da kann nur Opa helfen. Tatsächlich schaffen wir es, den Wal wieder ins Wasser zu bekommen. Ich bin überglücklich. „Der Wal wird es schaffen, oder Opa? Jetzt kann er zu seiner Familie zurückschwimmen. Alles ist wieder gut“.
Aber Opa antwortet nicht. Stille. „Opa“, sage ich noch einmal, „der Wal wird es doch schaffen?“ „Wir werden sehen“, antwortet Opa ganz leise.
Und dann ist da noch Mim. Mim ist die Katze von Oma und Opa und sie wird in den nächsten Tagen Junge bekommen. Vielleicht kann ich eines der Kätzchen behalten und mitnehmen. Ich muss nur Mama davon überzeugen. Bestimmt tröstet ein kleines Katzenjunges Mama auch ein bisschen.
Doch dann geht alles drunter und drüber. Bei einem Gewittersturm draußen auf dem Meer kommen Opa und ich in eine gefährliche Situation, die uns fast das Leben kostet.
Dann sind sie auf einmal da: die Tränen. Sie kommen ganz von alleine. Opa sagt: Es tut gut zu weinen. Tränen schaffen Ordnung“. „Ich habe nur eine kleine Tränenpause gemacht“, antworte ich. Aber Opa hat recht. Es tut gut zu weinen und alles, alles was mich in den letzten Wochen und Monaten beschäftigt und traurig gemacht hat, fließt aus mir heraus. Es ist nicht alles gut, aber es ist besser.
Und im nächsten Sommer, wird es schon ein kleines bisschen einfacher sein. Daran glaube ich ganz fest.
Bremen, 29. Juni 2020