Der WDR lobt die Autorin als „Königin der Jugendliteratur“. Dem kann ich mich bedenkenlos anschließen.
Ihr wisst es. Ich weiß es. Es gibt sie, die Leute, die bis zum Umfallen vernetzt sind, die Teil sozialer Medien sind, die Leuten beim Scheitern zusehen und sich schlapp lachen oder auch betroffen sind, die ihre intimsten Augenblicke mit „der ganzen Welt“ teilen und sich null Gedanken darüber machen, was das alles in ihrem sozialen Umfeld lostreten kann. Um nicht weniger als das geht es in Anne Freytags neuem Jugendroman „Das Gegenteil von Hasen“.
Julia, Marlene und Leonard sind die Stars des 12. Jahrgangs. Der Rest kann aus ihren Augen vernachlässigt werden. Kommt Euch das bekannt vor?! Gut so.
Julia hat allerdings die Angewohnheit, alles, worüber sie sich Gedanken macht, wen sie mag oder nicht, von wem sie Geheimnisse hütet, also ihr komplettes Gedankengut nicht etwa einem „Tagebuch“ anzuvertrauen, sondern einer eigens dafür eingerichteten Internetseite auf ihrem Computer, auf der sie ungeniert über Mitschüler der 12. Jahrgangsstufe herzieht. Manchmal auch ziemlich weit unter der Gürtellinie.
Und ja. Es ist ihre sehr private Angelegenheit, ihrem Computer Sachen über andere Leute anzuvertrauen, solange die entsprechende Seite geschützt und somit für andere nicht einsehbar bleibt. Solange das so ist, kein Problem. Oder?! Gerät der Computer allerdings in die falschen Hände, und ist der Finder fähig, die ungeschützte Seite anzuklicken und das Geschriebene für alle Betroffenen öffentlich zu machen, kommt es zum persönliche Gau.
Nun könnte man sagen: Prima. Eine tolle Geschichte über junge Leute mit dem sehr unkritischen Blick auf den eigenen Bauchnabel. Das alles ist ausgesprochen unterhaltsam, zumal Frau Freytag großartig mit Worten umgehen kann und ihre Protagonisten kluge und weniger kluge Aktionen erleben lässt.
Doch dann, ab Kapitel „Zeitgleich“ auf Seite 397 wird es ernst. Man stellt sich ernsthaft die Frage, ob Julia mit ihren Einträgen über den einen oder die andere nicht doch Recht hatte?! Ihr werdet erfahren, wer den Computer geklaut, die Einträge veröffentlicht und Julia in die Isolation befördert hat. In „Zeitgleich“ wird klar, wer falsche Fährten gelegt hat und sich über die „Vollidioten“ freut, die geschlossen darauf hereingefallen sind.
Gruselige Vorstellung, was junge Leute sich über die sozialen Medien und auch ganz real gegenseitig anzutun in der Lage sind. Und auch „Das Gegenteil von Hasen“ erklärt sich plausibel.
Großes Kino, wie ich gerne sage.
Bremen, 10. Juni 2020