Ich muss hier mal etwas klar stellen. Schafherden gibt es nicht. Nein, wirklich nicht!! Es gibt nur Linchen-Herden. Und das ist so, weil…

Nun ja – in der Schafherde dieses kleinen feinen Bilderbuches gibt es Linchen, Linchen, Linchen – und ein Fühlinchen.

Und dieses Fühlinchen hat eine Gabe, die ich auch gern hätte: Fühlinchens Fell wechselt, je nach Stimmung, seine Farbe. Also! Rosa steht für „Ich fühle mich gerade wirklich prima!“ Das Fell wird grau, wenn Fühlinchen sich gerade nicht so prima fühlt. Und ein bisschen orange ist das Fell, wenn Fühlinchen stolz auf etwas ist. Der Rest der Herde sieht bei jeder Stimmungslage gleich aus.

Nun ist es ja so: Wenn man Teil einer Herde ist und man als einziges Wesen dieser Gemeinschaft irgendwie anders ist, kommt der Augenblick, in dem man sich nach jemandem sehnt, dem es genauso geht. Folglich macht Fühlinchen sich auf die Suche, trifft unterwegs ein mutiges Stachelschwein und – schwupps – färbt sich das Fell wie das seines neuen Freundes. Den ganzen Tag über trifft Fühlinchen interessante Tiere. Und jedes Mal passt sich Fühlinchens Fell der Farbe des Tieres an.

Am Abend muss Fühlinchen erschöpft feststellen, dass die Suche nach jemandem mit derselben Gabe nicht erfolgreich gewesen ist und erkennt, dass jeder sich jeden Tag irgendwie unterschiedlich fühlt. Mal mutig, mal neugierig, mal erstaunt oder wütend oder einfach alles gleichzeitig.

PS: In Markgröningen – das liegt im Schwabenland – findet in jedem Jahr im August der Schäferlauf statt. Da passieren immer jede Menge toller Sachen. Unter anderem müssen Schäfer in einem Wettbewerb beweisen, wer seine Herde am besten hütet. Menschen aus der ganzen Welt kommen in die Stadt, um dieses wunderbare Ereignis zu sehen.

Jetzt muss ich nur noch auf eine gute Gelegenheit warten, bei der ich dem Bürgermeister ins Ohr flüstern kann, dass er sich seit Jahren irrt. Die Schäfer heißen leider nicht Schäfer, sondern Linchenhüter und Schafherden gibt es auch nicht. Es waren, es sind und werden es immer sein: Linchenherden.

Ob er das verkraften wird?

Bremen, 4. Mai 2019