Ein Kleid, das im Entstehen eine mystische Geschichte erzählt – geht das? Ja. Das ist möglich. Dieses wunderschöne, geheimnisvolle Ballkleid – „Das nachtblaue Kleid“ ist unbestritten die Hauptfigur der Geschichte. Es wird nach und nach eine Familiengeschichte erzählen.
Natürlich können Textilien nicht sprechen. Das übernimmt die alte Edi. Im Ort wird gemunkelt, sie sei eine Hexe – so wie sie lebt, schrullig, zurückgezogen und in der Vergangenheit verwurzelt, wie es scheint. Ich lerne sie als eine liebenswerte Alte kennen, die sich mit Menschen auskennt und sie einschätzen kann. Aber der Reihe nach.
Vater und Tochter sind seitdem Tod der Mutter in einem Wohnwagen ständig auf der Durchreise. Kurze Schulbesuche der Tochter inklusive. Man will sich ja nichts vorwerfen lassen. Der Vater lebt von Gelegenheitsjobs, malt ab und zu.
In der Nacht, in der die Geschichte beginnt, stranden sie mit dem letzten Tropfen Benzin in strömendem Regen in diesem furchtbaren Nest. Tankstelle?! Geschlossen! Kiosk?! Fehlanzeige. Zum Glück gibt es einen Campingplatz. Bis der Vater erneut das Zeichen zum Aufbruch geben wird, werden sie hier wohl bleiben.
Rose wird diesen Ort hassen, sie wird die neue Schule hassen – wie immer, sie wird das Wetter hassen – es gibt keines außer Regen. Also – es wird alles so sein wie immer. Glaubt Rose.
Aber diesmal ist es anders. Ein Erntefest ist vorzubereiten. Alle Mädchen des Ortes haben nur ein Thema: Wer von uns wird die Schönste sein? Welches Kleid ziehe ich an, wie trage ich mein Haar und welcher Junge lädt mich ein. Soweit so harmlos.
Gleich zu Beginn des Romans lese ich, dass zwei beste Freundinnen nach dem Dorffest verschwunden sind, ich erfahre aber nicht, welches Mädchen die Geschichte nicht überleben wird und warum.
Ich erfahre außerdem, wie es zu dieser furchtbaren Tat kommen wird, während das Kleid, seine Näherinnen und alle, die damit zu tun haben, die Geschichte fort schreiben. Rose und ich wissen zeitgleich, wer das Unfassbare getan hat.
Die Puzzleteile, die ich beim Lesen gesammelt habe, fügen sich zu einem Bild zusammen. Einem Bild, das mir nicht gefällt.
Karen Foxlee schreibt auf eine wundervolle Weise, die mich sprichwörtlich in die Geschichte hineingezogen und bis zur letzten Seite nicht wieder freigegeben hat. Das passiert mir nicht oft.
Ein tolles, ein sehr spannendes Jugendbuch!
Bremen, 8. September 2014