Als der Roman von George Orwell erschien, war ich eine junge Frau, die begann, sich gemeinsam mit FreundInnen für Weltpolitik zu interessieren. Jeder im Freundeskreis sprach über diesen Roman. Also kauften wir, lasen wir und diskutierten uns die Köpfe heiß. Da prallte so einiges aufeinander, das kann ich Euch sagen.
Mich hat die Geschichte von Winston Smith bis heute nicht los gelassen. Sie taucht immer mal wieder auf, je nachdem, wie sich Weltmächte verhalten. Wie sie ihre BürgerInnen unterdrücken, keine eigenen Gedanken zulassen, Oppositionelle wegsperren, foltern und töten. Schließlich darf ihr Weltbild nicht zerstört werden. Beispiele gibt es genug.
Schaut Euch die Welt und ihre Machthaber sehr genau an. Wir, die wir in einer Demokratie leben, haben alle Möglichkeiten, uns politische Systeme und ihre ängstlichen Machthaber anzusehen. Je mehr Gesellschaften sich gegen Diktaturen auflehnen, desto ängstlicher und hysterischer reagieren ihre Machthaber.
Beispiele gibt es genug: China, Russland, Weißrussland (Belarus). Um nur einige zu nennen.
Ergänzend hinzu kommen die Länder, die „rechts national“ regiert werden und dennoch zur Europäischen Union gehören.
Auch hier gibt es keine freie Presse, keinen unabhängigen Journalismus. Nicht wirklich eine politische Opposition. Wenn doch, werden politische Parteien einfach verboten und wenn das nicht funktioniert, bleibt den Regierenden noch die Anwendung von Gewalt.
Die Liste ist lang. Und ich befürchte, sie wird in Zukunft länger werden, wenn wir nicht aufpassen.
Das Aufpassen beginnt mit Euch, mit Ihnen. Mit den jungen Leuten, die sich für Weltpolitik interessieren. Und endet bei uns Älteren mit großer Lebenserfahrung. Denn auch bei uns macht sich immer lauter ein ungutes Gedankengut breit. Auch bei uns hat man versucht, unser Regierungsgebäude in Berlin „zu stürmen“, Politiker wurden im Haus angepöbelt und verhöhnt. Egal, hinter welchem Namen sie sich auch verstecken, sie werden nicht schaffen, was sie sich vornehmen.
Unsere Demokratie ist eine starke Lebensform.
Orwells prophetisches Werk „1984“ ist die Geschichte eines brutalen Überwachungsstaates, in dem das einzelne Individuum in jeder Sekunde seines Lebens unterdrückt und manipuliert wird. Winston Smith gehört dazu. Wie alle anderen auch, lebt auch er unter ständiger Beobachtung des alles überwachenden „Großen Bruders“.
Im Ministerium für Wahrheit ist es seine Aufgabe, Nachrichten und Dokumente rückwirkend so zu verändern, dass sie der offiziellen, totalitären Parteisicht entsprechen. Als er sich einer rebellierenden Untergrundbewegung anschließt und glaubt, in Julia eine Gleichgesinnte und die Liebe seines Lebens gefunden zu haben, nimmt Winstons Leben eine verhängnisvolle und gefährliche Wendung.
Als „1984“ verfilmt wurde, haben meine Freunde und ich uns den Film angesehen. Mich hat der Film fassungsloser zurück gelassen, als das Buch. Bis heute.
Wenn ich mich heute politisch weltweit umschaue, von „fake news“ lese und die versammelte Welt dem mächtigsten Mann der Welt dabei zusehen muss, wie er Menschen aufhetzt, das wichtigste Regierungsgebäude zu stürmen, dass dabei in kauf genommen wird, dass Menschen sterben, wenn ich von einem Präsidenten und seinen Handlangern höre, der sich weigert, eine demokratische Wahl anzuerkennen und damit die eigene Niederlage, wenn ich mit ansehen muss, dass dieser Präsident und seine Handlanger vor die allerhöchsten Gerichte ziehen, um die eigene Macht zu erhalten – und verliert, wenn ich erleben muss, dass Regierungen sich elektronisch in demokratische Wahlen anderer Länder einmischen, weil der Kandidat nicht ins eigene Weltbild passt, wenn die chinesischen Machthaber Hongkong langsam aber sicher in einen autoritären Ableger des Festlandes verwandeln, obwohl damit gegen so ziemlich jede Vereinbarung verstoßen wird, die mit Großbritannien nach der Übergabe beschlossen wurde, muss ich feststellen, dass George Orwells Roman „1984“ aktueller ist denn je.
Bremen, 31. März 2021